DAS JUBILÄUM

Geschichte des Frauenwahlrechts in Deutschland

Der Weg zum Wahlrecht für Frauen war lang. Das Frauenstimmrecht wurde von Akteurinnen verschiedener Flügel der Frauenbewegung seit Mitte des 19. Jahrhunderts erstritten und erkämpft.  Nach langem, zähen Ringen fanden in Deutschland 1919 die ersten Wahlen für alle statt: endlich.

1848

Wohl spricht man viel von Freiheit für alle, aber man ist gewöhnt unter dem Wort ‚alle’ nur die Männer zu verstehen.

Diese Worte schrieb die Frauenrechtlerin Louise Dittmer anlässlich der Wahl zur Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848, bei der keine Frauen, sondern nur besitzende Männer  ab 25 Jahren vertreten waren. Vor mehr als 150 Jahren hatten Frauen in Deutschland kein Wahlrecht, kein Recht auf Erwerbstätigkeit oder persönlichen Besitz, sie waren als Ehefrauen sozial und ökonomisch von ihren Ehemännern oder wenn sie unverheiratet waren von ihren Vätern abhängig.


1850

In den meisten deutschen Staaten wird Frauen die Mitgliedschaft in politischen Vereinen verboten und sie haben kein Versammlungsrecht. Sie dürfen sich nur in „unpolitischen Vereinen“ betätigen. Frauen schließen sich trotzdem ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Gruppen und Vereinen zusammen, um sich für Frauenbelange und Frauenrechte wie das Recht auf Bildung und Erwerbsarbeit, die Teilnahme am politischen Leben sowie ökonomische und soziale Selbstständigkeit, einzusetzen.

1870

Ein knappes Jahr vor der Reichsgründung, am 11. März 1870, trat das Preußische Vereinsgesetz in Kraft. Dort hieß es in § 9: „Für Vereine, welche bezwecken politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern, gelten nachstehende Beschränkungen:

  • Sie dürfen keine Frauenspersonen, Schüler, Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen; Sie dürfen nicht mit anderen Vereinen gleicher Art zu gemeinsamen Zwecken in Verbindung treten, insbesondere nicht durch Komitees, Centralorgane oder ähnliche Einrichtungen oder durch gegenseitigen Schriftwechsel [...]
  • Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge dürfen den Versammlungen und Sitzungen solcher politischen Vereine nicht beiwohnen. Werden dieselben auf Aufforderung des anwesenden Abgeordneten der Obrigkeit nicht entfernt, so ist Grund zur Auflösung der Versammlung oder der Sitzung vorhanden.“

Damit ist den Frauen zunächst einmal praktisch jede politische Betätigung untersagt – sie können auch nicht Mitglied in den immer stärker werdenden politischen Parteien werden.

1871

Mit der Gründung des Deutschen Reiches wird das allgemeine, gleiche, unmittelbare und geheime – aktive und passive – Wahlrecht für alle männlichen Bürger über 25 Jahre, die im Besitz der bürgerlichen und politischen Ehrenrechte sind für den Reichstag eingeführt. Die verschiedenen Regelungen für die Landesparlamente sowie die kommunalen Wahlgesetze bleiben davon unberührt. In Preußen gilt also weiterhin das Dreiklassenwahlrecht. Frauen haben weder in den Kommunen noch für den Reichstag das Wahlrecht.

1873

Hedwig Dohm forderte in ihren Schriften unmissverständlich das Frauenwahlrecht als Voraussetzung für die Durchsetzung weiterer Rechte. Sie appelliert an die Frauen: „... fordert das Stimmrecht, denn über das Stimmrecht geht der Weg der Selbstständigkeit und Ebenbürtigkeit, zur Freiheit und zum Glück der Frau“. In ihrer drei Jahre später – 1876 – publizierten Schrift „Der Frauen Natur und Recht“ fordert sie politische Rechte für Frauen bis hin zum Stimmrecht. Sie diskutiert die Frage, wie sich Frauen aus ihrer Rechtlosigkeit befreien und an der Macht beteiligen können: „Die Menschenrechte haben kein Geschlecht.“


1888

Minna Cauer gründet in Berlin den Verein „Frauenwohl. Dieser fordert offen politische Rechte für die Frau. Mitglieder werden u. a. Anita Augspurg, Helene Stöcker, Käthe Schirmacher und Hedwig Dohm.

1891

Die SPD nimmt auf ihrem Erfurter Parteitag die Forderung nach dem Frauenstimmrecht in das Parteiprogramm auf. Clara Zetkin spricht vor den Delegierten über die proletarische Frauenbewegung.

1894

Am 28./29. März gründet sich der „Bund Deutscher Frauenvereine“ (BDF) als Dachorganisation der gemäßigten bürgerlichen Frauenbewegung. Im Bund waren 34 gemeinnützige Vereine organisiert. Die proletarischen Frauenvereine wurden nicht Mitglied im BDF. Die sozialdemokratischen Frauenvereine wurden nicht Mitglied im BDF. Die Stimmrechtsfrage nahm der BDF 1902 auf seiner fünften Generalversammlung in Wiesbaden in sein Programm auf. Zeitgleich wurde der erste Frauenwahlrechtsverein gegründet.

1902

Die Frauenrechtlerinnen Minna Cauer, Anita Augspurg und Lida Gustava Heinemann gründen in Hamburg, das eine liberalere Vereinsgesetzgebung hatte, den „Deutschen Verein für Frauenstimmrecht“. Die bürgerliche Frauenstimmrechtsorganisation findet hier ihre Anfänge – als erster Verein, dessen einziges Ziel der Kampf um das Frauenstimmrecht ist, fordert er das Wahlrecht für Frauen im deutschen Reich. 1904 wird der Verein zum „Deutschen Verband für Frauenstimmrecht“.


1904

Am 12. Juni eröffnet in Berlin der Internationale Frauenkongresses (Frauen-Congress) – ausgerichtet vom Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) unter der Leitung von Marie Stritt. Es trafen sich Vertreterinnen bürgerlicher Frauenverbände aus 25 Ländern. Über tausend Frauen diskutieren über Themen wie Frauenbildung, -erwerb, -berufe, soziale Einrichtungen sowie die rechtliche Stellung der Frau. Die sozialistische Frauenbewegung nahm nicht daran teil. Im Umfeld des Kongresses findet ebenfalls eine Internationale Frauenstimmrechtskonferenz statt. Auf dieser wird der Weltverband für Frauenstimmrecht, die „International Women’s Suffrage Alliance“ (IWSA) gegründet.

1907

Am 15. Januar erscheint zum ersten Mal die „Zeitschrift für Frauenstimmrecht“, von Anita Augspurg herausgegeben.
Im selben Jahr findet in Stuttgart vom 17. bis 19. August die „Erste internationale sozialistische Frauenkonferenz“, organisiert von Clara Zetkin, statt. Hier fordert Zetkin u.a. das allgemeine Frauenwahlrecht und wird zur Sekretärin der Sozialistischen Fraueninternationale gewählt.

 


1908

Mit der Aufhebung des Preußischen Vereinsrechtes am 15. Mai 1908 fällt endlich das Verbot der Mitgliedschaft für Frauen in politischen Parteien und in Organisationen, die politische Themen beraten. Frauen dürfen in politische Vereinigungen und Parteien eintreten und politische Vereine gründen.

1911

Am 19. März findet der erste Internationale Frauentag, organisiert von Clara Zetkin und Käthe Duncker statt. Dieser Tag wurde von den sozialdemokratischen Frauen als Kampftag für das Frauenwahlrecht eingeführt. Luise Zietz schätzte den ersten internationalen Frauentag als „wuchtige sozialdemokratische Kundgebung für das Frauenwahlrecht“ ein.

1914

Richtungsstreitigkeiten innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung, die sich im Kern um die Frage drehten, welches Wahlrecht denn anzustreben sei, führten vor dem Ersten Weltkrieg dazu, das drei verschiedene Verbände existierten, die zwar alle das Frauenstimm- und -wahlrecht anstrebten, dies aber mit unterschiedlichen Wegen erreichen wollten: Sollte es erkämpft werden? Und, wenn ja: mit oder ohne Männer? Oder sollte es sich durch eine konstruktive Mitarbeit auf kommunaler Ebene verdient werden?

 


1916

Der „Deutsche Verband für Frauenstimmrecht“ und die „Deutsche Vereinigung für Frauenstimmrecht“ schlossen sich zum „Deutschen Reichsverband für Frauenstimmrecht“, dessen Vorsitz Marie Stritt und Li Fischer-Eckart übernehmen, zusammen.

1917

Mitten im Ersten Weltkrieg, als deutlich geworden war, dass der Deutsche Kaiser zwar eine Wahlrechtsreform anstrebte, die Frauenforderungen aber ignorierte, beschlossen bürgerliche und sozialistische Aktivistinnen am 22. September, sich gemeinsam für das Frauenwahlrecht einzusetzen. U.a. übergaben sie dem Preußischen Landtag im Dezember eine „Erklärung zur Wahlrechtsfrage“, in der auf die von Frauen während des Krieges geleistete Arbeit und ihre große Einsatzbereitschaft hingewiesen wird. Gefordert wird ein „allgemeines, gleiches und direktes Wahlrecht für alle gesetzgebenden Körperschaften.“ Am 17. Dezember fand eine gemeinsame Kundgebung mit mehr als 1.000 Frauen aus der proletarischen und der bürgerlichen Frauenbewegung zur – im Reich und in den Bundesstaaten - geplanten Wahlrechtsreform statt.

1918

Im Oktober 1918 forderten 58 deutsche Frauenorganisationen in einem gemeinsamen Schreiben an den Reichskanzler Max von Baden, dem Verlangen der Frauen nach einem Wahlrecht zu entsprechen. In Berlin versammelten sich mehrere tausend Menschen und forderten das sofortige Stimmrecht für die Frauen.

Nachdem sich bereits im Sommer 1918 der militärische Zusammenbruch abgezeichnet hatte, revoltierten im November die Matrosen in Kiel und leiteten damit den endgültigen Sturz der Monarchie ein. Am 9. November rief Philipp Scheidemann die Republik aus. Wenige Tage später stellt der Rat der Volksbeauftragten am 12. November 1918 in einem Aufruf „An das deutsche Volk“ sein Regierungsprogramm vor. Ein wichtiger Teil davon war die Proklamation einer großen Wahlrechtsreform, die auch das Frauenwahlrecht enthielt. Dies gilt allgemein als die Stunde des Frauenwahlrechts in Deutschland. Wahlberechtigt waren alle Frauen und Männer ab 20 Jahren. Wenige Wochen später, am 30. November 1918 verankert der Rat der Volksbeauftragten das aktive und passive Wahlrecht für alle Bürgerinnen und Bürger in der Verordnung über die Wahl zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung.

Im Artikel 109, Abs. 2 der Weimarer Verfassung findet sich schließlich der Satz: „Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“


1919

Die Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung vom 19. Januar 1919 war die erste, an der Frauen als Wählerinnen und Gewählte teilnahmen. Über 80 Prozent der wahlberechtigten Frauen gaben ihre Stimme ab. Es kandidierten 300 Frauen. Von den insgesamt 423 Abgeordneten zogen 37 Frauen in die Nationalversammlung ein.

Am 19. Februar 1919 hielt die Sozialdemokratin Marie Juchaz als erste Frau eine Rede in der Nationalversammlung und stellte fest: „Meine Herren und Damen! Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als freie und gleiche im Parlament zum Volke sprechen kann […]. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“